Warum Comics endlich in den Lehrplan gehören – und wie sie Medienkompetenz stärken
Die Frankfurter Buchmesse ist gestartet. Comics und Graphic Novels sind in den Messehallen immer noch eine Randerscheinung – ebenso wie auf dem gesamten Buchmarkt oder im Lehrplan der Schulen. Das ist didaktisch, kulturell und medienpädagogisch eine verpasste Chance.
Lesezeit: 7 Minuten

15.10.2025
Doink: Der schwere Stand der Comics
Schund, Gewaltverherrlichung, Fratzen, verballhornte Sprache, nichts als „Zack!“, „Doink!“ und „Puff!“: Comics fristeten in der Kulturbranche lange Zeit ein stiefmütterliches Nischendasein. Kinderkram, Unterhaltung für seichte Geister. Wenn überhaupt. Und tatsächlich denken die meisten bis heute, wenn man sie zum Thema Comics befragt, an Dauerbrenner wie „Asterix“, „Lucky Luke“ oder das Lustige Taschenbuch von Disney. Natürlich alles Klassiker und zurecht von vielen geradezu kultisch verehrt – aber eben nur die Spitze des Eisbergs, wenn es darum geht, was das Medium Comic so alles kann. In anderen Ländern gilt der Comic längst als anerkannte Kunstform, in Deutschland hinkt man da noch deutlich hinterher.
Dr. Barbara M. Eggert, Rektorin der Merz Akademie, Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, Stuttgart und Comicwissenschaftlerin, findet dafür klare Worte. „Comics wurden als seriöse Kunstform in Deutschland viel zu lange vernachlässigt“, stellt sie klar. Dabei war das nicht immer so: „Von den Sechzigern bis zu den Achtzigern hatten Comics als Bildungsmedien in der Bundesrepublik Deutschland einen hohen Stellenwert“, fährt sie fort. „Irgendwann sind Comics jedoch aus den Bildungsplänen verschwunden.“ Ein wenig war das also wie im Mittelalter, in dem eine gehörige Menge Wissen aus der Antike verloren ging oder bewusst vernichtet wurde.
Bumm: Die Renaissance des Comics
Wie im Mittelalter folgt auf die dunkle Zeit auch in der Comicgeschichte eine zaghafte Renaissance. „Im deutschsprachigen Bereich hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten eine ganze Menge getan“, schildert Eggert. Dafür zieht sie einerseits das Erblühen der Graphic Novels heran, die das üblich begrenzte Format eines Comicbandes mit einer festgelegten Anzahl an Panels bewusst brechen und so Raum für eine ganz neue Art des Geschichtenerzählens geschaffen haben; andererseits sei die Ausbreitung der Sachcomics prägend für die Neuevaluierung des Comics als ernstzunehmende Kunstform und wichtige Plattform für sensible Themen gewesen. Dass die österreichische Comiczeichnerin Ulli Lust für ihr Werk „Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte“ den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Sachbuchpreis erhalten hat, ist die vorläufige Krönung dieser Entwicklung.
Ein weiterer großer Schritt in Richtung Akzeptanz liefert das Genre Graphic Medicine, also „Comics, die sich aus Perspektive von Betroffenen, aber auch von pflegenden Angehörigen und medizinischem Personal mit dem Thema Krankheit und Gesundheit befassen“, erklärt sie. „Dieses Genre ist auch noch relativ neu und hat sich innerhalb kürzester Zeit sehr ausdifferenziert.“ Insbesondere für sensible gesundheitliche Themen sei der Comic ein dankbares Medium, weil er einen niederschwelligen und einfachen Zugang zu komplexen Sachverhalten schaffen kann. „Dieses Genre eröffnet neue Perspektiven auf mentale und körperliche Gesundheit“, so Barbara Eggert. „Ein Comic kann sich ein anderes Vorgehen erlauben als ein Sachbuch oder ein strenger medizinischer Diskurs. Jugendliche können sich in der Regel sehr viel besser damit identifizieren – gerade, weil Themen wie Depression, Essstörungen oder Autismus oftmals von Betroffenen selbst erzählt werden.“ Dadurch bekommen medizinische und gesundheitliche Themen zudem automatisch mehr Sichtbarkeit, werden häufiger thematisiert. Das trägt zu einer Normalisierung im Umgang mit Themenkomplexen bei, die lange Zeit tabuisiert wurden.
Als letzten großen Grund für den zunehmenden Siegeszug der Comics nennt Eggert den hohen Grad an Diversität in der Comicszene. Sie beobachtet deutlich mehr weibliche, queere, nonbinäre Stimmen als im Rest der Literatur. Entsprechend ist der Grad der Identifikation unter Konsumenten deutlich höher.
Zack: Comics in den Lehrplan!
Stellt sich natürlich die Frage, weshalb Comics nicht längst als Pflichtlektüre im Lehrplan verankert sind. Sind sie nämlich nicht – und allerhöchstens mal als Option oder unterrichtsbegleitendes Projekt. Roman, Lyrik und Drama dominieren weiterhin den Bildungsdiskurs – ein Versäumnis, wie Dr. Barbara M. Eggert betont: „Comics müssen wieder in den Lehrplan!“, sagt sie nicht als einzige. „Beinahe jedes Fach würde davon profitieren – Deutsch, Kunst, Geschichte. Das Medium Comic eignet sich hervorragend zum Aufarbeiten historischer Sachverhalte oder zum Illustrieren tief sitzender Probleme wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus. In den Sechzigern diente der Comic auch dazu, zu Konsumkritik anzuregen und sich ein kritisches Verhältnis zum aktuellen politischen Geschehen anzueignen. So etwas ist auch heute dringend nötig.“
Die Einsatzmöglichkeiten von Comics im Unterricht seien schier endlos. Insbesondere die Zusammenhänge zwischen Bild und Text, zwischen Sprache und Ausdruck wären bestens dafür geeignet, die Kreativität zu triggern und zum Nachdenken anzuregen. Ein nicht deutschsprachiger Comic kann sehr lehrreich sein, weil wir als Leser immer auch Bilder dekodieren und erkennen müssen, wann wir die deutsche Brille aufhaben und wo wir sie auch mal ablegen müssen. Zudem eignet sich ein Comic hervorragend zur Interpretation – weil er auf eine sehr reduzierte Art Inhalt und Emotion vermittelt.“ Nicht zuletzt tragen Comics auch einen wichtigen Anteil zur Leselust junger Menschen bei. Allein deswegen sollten sich Schulen den Reiz dieses Mediums zunutze machen. Der Lesefähigkeit ist es nämlich grundsätzlich egal, ob sie von einem Comic oder einem Roman genährt wird.
Krach: Medienkompetenz durch bunte Bildchen
Comics sind komplexe mediale Landschaften, in denen Bild und Text auf vielfache Weise miteinander in Diskurs treten. Gerade deswegen sind sie regelrechte Zugpferde in Sachen Medienkompetenz. „Durch die Kombination von Text- und Bildebenen haben Comics eine praktisch unerreichte Multimodalität“, nickt Eggert. „Bildanalyse und Textanalyse gehen beim Comic Hand in Hand, was dazu führt, dass auch junge Leser komplexe Sachverhalte besser erfassen können. Gleichzeitig gibt es aber auch Comics, die weitgehend ohne Sprache auskommen, trotzdem versteht man sie.“
Ein Comic ist eine viel offenere Welt als ein Text und bietet durch die Analyse vielschichtiger Informationen ein wichtiges Tool für Leseverständnis und logisches Denken. Beide Eigenschaften sind unabdingbar für eine gut ausgebildete Medienkompetenz. Und weil insbesondere nicht-deutschsprachige Comics zudem den interkulturellen Austausch fördern und oftmals zu kritischem Denken anregen, sollte es so langsam wirklich keinen einzigen Grund mehr geben, weswegen Comics nicht fest in den Lehrplänen verankert werden.

Über den Autor
Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.
Björn Springorum
Freier Journalist und Schriftsteller
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