Stereotypie in Games: Der lange Weg zu mehr Diversität
Jungfrau in Nöten und Ritter in strahlender Rüstung: Lange beherrschten sexistische und rassistische Rollenbilder die Gamesbranche. Daran ändert sich langsam etwas. Doch der Weg zu einer diversen Repräsentation ist ein weiter.

01.04.2025
Die Anfänge weiblicher Spielfiguren
Lange gab es in der Gamesbranche nur zwei Arten von weiblichen Spielfiguren: Auf der einen Seite hilflose Prinzessinnen wie Peach (deren Name bekanntlich synonym für das weibliche Hinterteil gebraucht wird), die von Super Mario gerettet werden muss. Oder sexy Heldinnen wie Lara Croft, die ihre archäologischen Abenteuer mit deutlich weniger Textil bestreiten muss als ihr Kollege Indiana Jones. Zwischen diesen beiden Polen schien es lange wenig bis gar keine Auswahl zu geben: Miss Pacman etwa ist gar kein eigenständiger Charakter, sondern einfach nur die eigenschaftslose Frau von Pacman; und selbst die erste Frau in einem Game überhaupt – Samus Aran im Spiel „Metroid“ von 1986 – konnte man während des Spiels Stück für Stück entkleiden.
„Für weibliche Spielfiguren in Videospielen scheint es vor allem zwei Narrative zu geben: Die Jungfrau in Nöten oder die hypersexualisierte Actionheldin“, heißt es bei der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Beides sind aber nun mal stereotype Charakterdarstellungen, die Frauen entweder auf eine Opferrolle oder auf ihre körperlichen Eigenschaften reduzieren, um die zumindest damals überwiegend männlichen Spieler bei Laune zu halten. Nun ist es aber so, dass mittlerweile rund die Hälfte der Gamerszene aus Spielerinnen besteht. Und derartige Rollenbilder spätestens durch diese Entwicklung dringend abgeschafft gehören.
Sexismus und Rassismus in der Gamingbranche
Neben Sexismus hatte die Spielebranche lange auch ein Rassismusproblem: PoC-Charaktere (People of Colour) waren lange Zeit quasi nonexistent – zumindest in den Hauptrollen. Prof. Dr. Sabiha Ghellal, Professorin an der Stuttgarter Hochschule der Medien, nennt die Gründe dafür: „Ein zentrales Problem war lange, dass Computerspiele oft von Teams mit einer bestimmten demografischen Prägung entwickelt wurden. Das hat sich in wenig divers gestalteten Charakteren und Narrativen widergespiegelt. Meiner Meinung nach hängt Diversität stark mit der Zusammensetzung der Entwicklerteams zusammen – wenn in einem Team bestimmte Perspektiven fehlen, dann zeigt sich das auch in den Inhalten.“
Sexismus ist (wie im Rest der Gesellschaft) zwar bis heute nicht aus der Gamesbranche (und der Gamerszene) wegzudenken, doch es tut sich was: Weibliche, queere und körperlich vielfältigere Figuren werden sichtbarer. „Heute gibt es definitiv sichtbare Fortschritte, sowohl in der Charaktergestaltung als auch in den Teams, die Spiele entwickeln“, weiß Ghellal. Das ist allerhöchste Zeit: Gaming hat als lukrativste Entertainmentbranche längst Film und Musik hinter sich zurückgelassen und muss dringend noch mehr in die Vorbildrolle hineinwachsen, die automatisch damit kommt. Noch gibt es wenige belastbare empirische Arbeiten darüber, ob sexistisches Verhalten ein größeres Problem im Gaming ist als in anderen Bereichen. Es gibt aber Studien, die Zusammenhänge zwischen Videospielkonsum und sexistischen Einstellungen gefunden haben.
Der Status quo: Ein weiter Weg
Trotz der positiven Entwicklungen kommt Prof. Dr. Sabiha Ghellal allerhöchstens zu einem unbefriedigenden Fazit: „Wie in vielen Branchen bleiben Sexismus und Rassismus weiterhin Herausforderungen. Das betrifft stereotype Darstellungen von Charakteren genauso wie toxische Community-Kulturen oder strukturelle Barrieren, die es marginalisierten Entwickler*innen schwerer machen, in der Branche Fuß zu fassen.“
Insbesondere in der Indie-Gamebranche tue sich viel, weiß sie. „Indie-Studios haben oft kleinere, international zusammengesetzte Teams mit mehr kreativer Freiheit. Das führt zu innovativeren und vielfältigeren Spielen, weil sie nicht denselben wirtschaftlichen Zwängen unterliegen wie die großen Studios.“ Diese müssen ihr zufolge eher bestehende Zielgruppen und Genres bedienen – „was dazu führen kann, dass Diversität nicht immer oberste Priorität hat“, so die Professorin für unter anderem Game Design. „Trotzdem gibt es auch dort positive Entwicklungen, etwa durch gezielte Inklusionsprogramme oder diversere Storytelling-Ansätze.“ Für sie ist das essentiell: „Ich bin überzeugt, dass nur durch verschiedene Perspektiven auch wirklich authentische und inklusive Spielerlebnisse entstehen können.“
Ein positives Beispiel
Streaming-Anbieter wie Netflix setzen sich in ihren Eigenproduktionen seit Jahren für diverse Charaktere und queere Geschichten ein; trotz aller positiver Entwicklungen sind das bei großen und medienwirksamen Games immer noch Einzelfälle. Ghellal: „Ein besonders gelungenes Beispiel ist ‚The Last Of Us Part II‘ mit der Figur Lev. Lev wächst innerhalb der religiösen Sekte der Seraphiten auf und beginnt, deren strenge Traditionen zu hinterfragen – insbesondere die vorgegebene Geschlechterrolle. Als Lev für eine Ehe mit einem Ältesten bestimmt wird, entspricht das nicht der eigenen Identität. Um sich von dieser Zuweisung zu lösen, rasiert sich Lev öffentlich den Kopf – ein symbolischer Akt innerhalb der Seraphiten – und nimmt einen neuen Namen an. Diese Erzählweise zeigt, dass Games zunehmend diverse Charaktere auf eine vielschichtige und respektvolle Weise integrieren. Levs Identität ist nicht nur ein narrativer Twist, sondern ein essenzieller Bestandteil der Geschichte, der persönliche und gesellschaftliche Konflikte miteinander verwebt.“
Ein Beispiel wie dieses zeigt, dass Games heutzutage weit mehr sind als nur Unterhaltung. „Sie sind ein Medium für tiefgehende, emotionale Erzählungen, die komplexe Themen wie Identität, Zugehörigkeit und gesellschaftliche Normen reflektieren“ nickt Ghellal. „Ähnlich wie hochwertige TV-Serien können sie Debatten anregen und neue Perspektiven eröffnen.“

Über den Autor
Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.
Björn Springorum
Freier Journalist und Schriftsteller
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