Romantasy: Harmloser Buchtrend oder Verharmlosung von Gewalt?
Die Buchläden sind voll davon, auf TikTok geht es plötzlich nur noch um Romane und der gesamte Buchhandel saniert sich: Romantasy ist das Genre der Stunde. Während die meisten Bücher eine harmlose Verschmelzung der Welten Romance und Fantasy darstellen, gibt es immer wieder problematische Darstellungen von häuslicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch.
Lesezeit: 6 Minuten
18.12.2025
Was ist Romantasy?
Der Aufstieg der literarischen Gattung Romantasy war letztlich schnell und überraschend. Was vor rund 20 Jahren langsam begann, verbreitete sich insbesondere in den letzten Jahren wie ein Lauffeuer. Heute ist das Genre omnipräsent und aus Buchläden, von Buchmessen oder aus den sozialen Medien nicht wegzudenken. Hauptsächlich junge Frauen sind die Zielgruppe eines Genres, das beliebte Tropen aus Fantasy- und Romantikliteratur vermischt und in oftmals hübsch gestaltete Hardcover-Büchern mit Farbschnitt verpackt. Erfolgreiche Beispiele sind „Fourth Wing“ mit über zwei Millionen verkauften Exemplaren und einer geplanten TV-Serie oder die Serie „Das Reich der sieben Höfe“, die weltweit sogar mehr als 13 Millionen Bücher verkauft hat.
Erzählt werden häufig Geschichten aus dem Hochschul-Umfeld („Dark Academia“), gespickt mit einem Querschnitt durch alle jemals erdachten Fabelwesen und Fantasy-Kreaturen und gewürzt mit teilweise expliziten Sexszenen, die mit einer „Spice“-Bewertungsskala gemessen werden. Mit Drachen, mit Vampiren, mit Feen… der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Eine Chili für moderate Szenen, fünf Chilis für extrem (!) explizite sexuelle Handlungen. Das Besondere: Der Siegeszug des Genres erfolgte teilweise bei kleinen Verlagen, weil die etablierten Häuser das Potential lange nicht bemerkten. Mittlerweile hat aber fast jeder große Verlag ein eigenes Romantasy-Imprint. Heute ist Romantasy das erfolgreichste Literaturgenre überhaupt – mit Umsätzen von 610 Millionen US-Dollar im Jahr 2024.
Mit TikTok zum Erfolg
Eigentlich fing alles mit den „Twilight“-Romanen an, weiß Fleur Hummel von der Stadtbibliothek Reutlingen. Auch sie hat in den vergangenen Jahren eine explosiv angestiegene Nachfrage zu Büchern aus diesem Genre erlebt. Unter dem heute gängigen Namen ‚Romantasy‘ kam es aber erst 2022 zum Durchbruch. Den sagenhaften Erfolg dieses Genres erklärt sie sich durch „eine gute Mischung aus Reichweite, Authentizität und Partizipation.“ Hierbei sei Werbung auf Social Media eines der wichtigsten und effektivsten Werkzeuge, um eine große Reichweite zu erzielen. Und da insbesondere BookTok. „Wenn ein Buch von einem BookToker gelesen wird, stehen die Chancen gut, dass das Buch auch von anderen aus der Community gelesen wird. Viele junge Menschen verlassen sich auf die Empfehlung ihres Lieblings-BookTokers. Gleichzeitig werden BookToker in den meisten Fällen nicht dafür bezahlt, daher werden diese Bewertungen nicht als kommerzielle Werbung, sondern als authentische Empfehlung wahrgenommen.“
Im Verlagswesen gilt BookTok längst als eines der wichtigsten Verkaufsmedien vorwiegend für junge Menschen. Schon im November 2023 wurde darüber berichtet, dass der Hashtag #BookTok insgesamt 200 Milliarden Mal verwendet wurde. „Die Community dahinter spielt sicherlich auch eine große Rolle – und dass Autorinnen teils Inhalte, die durch Diskussionen und Wünsche innerhalb dieser Community entstehen, auch in ihre Story einbauen“, weiß Fleur Hummel. „Durch diese Form der Partizipation steigt die Identifikation der Leserinnen mit dem Inhalt.“ Ein großer Vorteil: Viele Autorinnen können so auch ohne Agentur oder großen Verlag ihren Weg in der Buchbranche gehen – und das ist für Hummel durchaus Empowerment.
Stereotype Charaktere?
Bei allem Empowerment, allem Erfolg und aller Identifikation junger Leserinnen mit ihren Heldinnen muss sich die Romantasy immer wieder teils heftige Kritik gefallen lassen. Das Genre sei in seinen Darstellungen zu stereotyp, zu schematisch, zu generisch. „Stereotype erleichtern Zuordnung und können auch humorvoll eingesetzt werden“, entgegnet Hummel von der Stadtbibliothek Reutlingen. „Klischees entstehen häufig, weil ein Körnchen Wahrheit in ihnen steckt. Autorinnen können sie nutzen, um Leserinnen im Verlauf der Geschichte eines Besseren zu belehren. So gewinnen Figuren an Tiefe. In Krisenzeiten wächst zudem das Bedürfnis nach Sicherheit. Vorhersehbare Strukturen, Happy Ends und klare Rollen können beruhigend wirken. Eskapismus ist ein legitimes Bedürfnis. Problematisch werden Stereotype jedoch dann, wenn sie Minderheiten ausgrenzen oder Vorurteile zementieren. Eine pauschale Bewertung ist daher nicht möglich – jedes Buch muss einzeln betrachtet werden.“
Problematische Fälle
Problematisch sei hingegen die teilweise Romantisierung von Gewalt oder Missbrauch, vor allem im Bereich Dark Romance. Hier begegnen uns Partner, die eigentlich nur aus warnenden „Red Flags“ bestehen. Partner, die gewalttätig sind, die ghosten, die die oftmals weiblichen Gegenstücke schlecht behandeln oder gar missbrauchen.
Insbesondere an den expliziteren Vertretern des Genres hagelt es Kritik. Auf dem Buchmarkt sind diese Romane aber eben frei und ohne Altersbeschränkung verkäuflich. „Bei Dark Romance geht es ja oft darum, dass am Ende dabei eine glückliche Liebesbeziehung rauskommt und jede Art von Gewalt vorher, ist danach völlig okay, und das wird so selten irgendwo richtig gestellt“, sagt etwa Dr. Johanna Katharina Reichel, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Wurster Nordseeküste. Einige Leserinnen und Leser würden sich in dieser Welt ganz verlieren. „Das passiert nicht allen, das passiert nur einzelnen Leuten, aber diese Gruppe von Leuten sind Menschen, die sowieso eher psychisch anfällig sind“, so Reichel weiter.
Bücher wie diese könnten die Wahrnehmung verändern, was normal ist in Beziehungen und was nicht, ähnlich wie bei übermäßigem Konsum von Pornografie. Wie in allen Medienbereichen gilt also auch hier: Besser aufklären und begleiten als verbieten. Und den Inhalt des Romans als Erziehende vielleicht doch etwas gründlicher überprüfen. „Hier stehen auch Bibliotheken vor der Herausforderung, zwischen Schutz, Freiheit und Verantwortung abzuwägen“, sagt Fleur Hummel. „Es gibt keine einfachen Antworten, sondern ein dauerhaftes Spannungsfeld. Bibliotheken bevormunden Leser nicht. Ziel ist es, Lesekompetenz und Lesefreude zu fördern. Der Weg zum Lesen ist sekundär, entscheidend ist die Motivation.“
Über den Autor
Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.
Björn Springorum
Freier Journalist und Schriftsteller
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