Starker Entscheider, fürsorgliche Mutter: Die Schädlichkeit von Stereotypie und Sexismus in der Werbung
Black Friday, Adventszeit, Nikolaus, Weihnachten: Hochkonjunktur für die Werbeindustrie. Noch immer wird mit veralteten Rollenbildern, Geschlechterklischees und offenem Sexismus geworben. Das ist nicht nur überholt und unzeitgemäß – es kann auch zu psychischer Belastung und mangelndem Selbstwertgefühl führen.
Lesezeit: 8 Minuten
21.11.2025
Der Reiz der Werbung
Sie ist überall. Und oftmals merken wir es gar nicht. Werbung hat sich in den letzten Jahrzehnten, vor allem aber seit dem Aufkommen von Social Media radikal gewandelt. Wo sie früher über Fernsehbildschirme flimmerte, an Litfaßsäulen geklebt wurde und in Magazinen auftauchte, ist Werbung heute überall. Und auch wieder nicht: Oftmals merken wir gar nicht mehr, dass wir Werbung konsumieren. Der Clip vor dem YouTube-Video, die Anzeige in der kostenlosen App, der sympathische Influencer, das Trikot des Lieblingsspielers,… Wir werden pausenlos mit Werbung bombardiert.
Insbesondere zu dieser Zeit des Jahres winken mit den Konsumfesten Black Friday (eine Erfindung der Werbeindustrie) und Weihnachten zwei Ereignisse, in denen die Werbung sprichwörtlich freidreht. „Wenn man alles, was zu Black Friday dazugehört, zusammenzählt, dann ist diese Phase größer als das Weihnachtsgeschäft“, sagt Marc Opelt, der CEO des Versandhandels Otto. Beide Anlässe gehen fließend ineinander über und triggern eine regelrechte Hetzjagd auf Konsumierende – teils mit unlauteren Mitteln. Zum Einsatz kommen immer öfter sogenannte „Dark Patterns“, also Impulse, die den Druck auf die Käufer erhöhen sollen – Count-Down-Timer etwa oder ein Hinweis, dass es nur noch wenige Produkte oder drei Hotelzimmer zu diesem Preis gibt.
Das setzt Menschen erfolgreich unter Druck. Prof. Dr. Juliane Richter von der Hochschule der Medien stellt fest: „Wir sind genauso anfällig für Werbung wie eh und je.“ Das gelte selbst für Dinge, die uns eigentlich gar nicht interessieren. „Hier greift der sogenannte Mere-Exposure-Effekt“, so die Professorin, die sich auf Medien- und Wirtschaftspsychologie und insbesondere Konsumenten- und Nutzerforschung spezialisiert hat. „Dahinter steckt, dass ich Dinge oder Produkte positiver bewerte, je häufiger ich ihnen ausgesetzt bin. Das funktioniert selbst bei Dingen wie Büroklammern, zu denen man ja meist keine besonders starke Meinung hat.“
Begehrlichkeiten hinterfragen
Auch wenn sich die Wirkung von Werbung nicht allzu sehr verändert hat: Konsumenten nutzen die gestiegene Transparenz, vergleichen, lesen Bewertungen. Dennoch weckt Werbung heute immer noch erfolgreich Begehrlichkeiten – insbesondere, seit der Algorithmus all diese Anzeigen von Dingen in unsere Feeds spült, die uns wirklich interessieren. „Oft ist hier von der Elaborationswahrscheinlichkeit die Rede. Da geht es darum, wie involviert oder wie kognitiv aktiv wir sind, während wir Werbung rezipieren. Wenn mein Kühlschrank kaputt ist, beachte ich Kühlschrankwerbung mit ganz anderen Augen“, so Juliane Richter. “Gleichzeitig vertrauen wir wider besseres Wissens auf sympathische Influencer, obwohl wir eigentlich wissen, dass sie ja auch nur Werbung machen. Bei Fernsehwerbung fällt es uns deutlich leichter, sie als das zu sehen, was es ist: Ein Instrument, um Begehrlichkeiten zu wecken.“
Medienkompetenz könne da helfen, um der Werbung nicht so schnell auf den Leim zu gehen. Noch wirksamer ist für die Professorin aber das Hinterfragen der eigentlichen Bedürfnisse: „Man kann sich dafür auch konkrete Ziele setzen und natürlich versuchen die „Klassiker“ zu vermeiden, wie hungrig einkaufen zu gehen oder in Momenten, in denen wir emotional belastet sind online zu shoppen.“
Vorurteile, Stereotypie und Sexismus in Werbung
Unsere Gesellschaft ist eine andere als noch vor 30 Jahren. In der Werbung hat man manchmal aber bis heute den Eindruck, dass das nicht so ist. Noch immer werden antiquierte Rollenbilder kolportiert, die Spanne reicht bis zu offenem Sexismus. „Die Anzahl der Beschwerdefälle hinsichtlich geschlechterdiskriminierender Werbung beim Deutschen Werberat bleibt in den Jahren 2023 und 2024 weitgehend stabil. Eine andere Untersuchung hat und in TV-Spots von 1996 bis 2016 untersucht. Generell zeigte sich hier sich eine Verringerung sexualisierter Frauendarstellungen, wobei der Anteil in den untersuchten Spots im Jahr 2016 immer noch bei 30% lag“, so Juliane Richter. „Obwohl es in der Gesellschaft Fortschritt gibt, scheint sich der nur langsam in der Werbung zu spiegeln – und gerade KI-generierte, stereotype Models werfen diesen Fortschritt vielleicht eher zurück, wenn sie nicht verantwortungsvoll eingesetzt werden.“ Dieser KI-inhärente Sexismus ist ein mittlerweile oft beobachtetes und viel untersuchtes Phänomen.
Dennoch gibt es Vorreiter, die glaubhaft diverse Werbekampagnen produzieren. Ein großer Hersteller von Beauty- und Pflegeprodukten etwa, sagt Richter: „Er hat sich aber natürlich auch ganz anders positioniert als die anderen Beauty-Marken und sogar eigene Studien zur Darstellung von Frauen in der Werbung in Auftrag gegeben haben.“ Vielen stieß abseits von Beispielen wie diesen bitter auf, dass Frauen immer noch sehr häufig in haushaltsnaher Care-Arbeit inszeniert werden. Die Stereotypie ist also weiterhin ein Problem.
Das beobachtet auch die Organisation Pinkstinks, die immer einen sehr genauen und kritischen Blick auf Werbung wirft. Hier sehe man bei vermeintlich maskulinen Themen wie Bier oder Bratwurst immer noch ein maskulines, starkes Männerbild und bei vermeintlich femininen Themen wie Windeln oder Spülmittel eher fürsorgliche, sanfte Frauen. Juliane Richter beobachtet zudem noch etwas anderes: „Sehr oft sind es mittelständische Handwerksbetriebe, die ihre Firmenwägen mit leicht bekleideten Frauen bekleben. Wenn es auch mit viel gutem Willen keinen Bezug zum Produkt gibt, wirken solche Darstellungen durchaus negativ auf die Rezipierenden. In diesen Fällen kann der Werberat eine Rüge erteilen, diese ist aber rechtlich nicht bindend. In der Praxis werden die meisten beanstandeten Werbungen allerdings geändert oder zurückgezogen.“ Aber das seien auch nur Tropfen auf den heißen Stein.
Das Dilemma mit dem Geld
Natürlich hat jede Werbung nur einen einzigen Zweck: Sie will Umsatz generieren. Deswegen machen alle Unternehmen eine gründliche Zielgruppenanalyse, weiß Richter: „Sie wissen genau, wen sie ansprechen wollen – und sehr wahrscheinlich fühlen sich bis heute immer noch viele Menschen von einem traditionellen Rollenbild angesprochen.“ Diese Menschen erreicht die Werbung auch – „und das Unternehmen kann es gut verkraften, wenn sich einige andere daran stoßen werden. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Grundlegend sind Stereotypen hilfreich, weil wir unsere komplexe Welt mit ihnen einordnen können.“ Das kann aber auch zu Vorurteilen führen. „Wenn ich Stereotype normalisiere, verfestigen diese ganz automatisch Ideen“, fährt sie fort. Das kann zu Diskriminierung und einem verringerten Selbstwertgefühl führen.“
Besonders weit klafft der Gender-Gap bei Kinderwerbung auseinander. „Nirgendwo werden die Geschlechter derart rigoros getrennt“, nickt Juliane Richter. „Hier haben wir das klassische Henne-Ei-Problem: Wollen die Kinder das tatsächlich – oder werden sie von außen geprägt? Wissenschaftlich gibt es da kaum belastbare Studien, aber meiner Meinung nach kann man sich als junger Mensch einem Einfluss nicht entziehen, wenn man ihm permanent ausgesetzt ist.“ Zudem dürfe man nicht vergessen, dass oft auch die Großelterngeneration Geschenke für ihre Enkel kauft. Und die ist eben noch von deutlich traditionelleren Werten geprägt.
„Femwashing“ als Geschäftsmodell
Je mehr wir über aufgebrochene Gender-Klischees, Gleichberechtigung und fluide Geschlechter sprechen, desto größer ist die Gefahr des sogenannten „Femwashing“. Dahinter steckt, dass Unternehmen und ihre Marken bei PR- und Marketingstrategien nur so tun, als würden sie sich für Frauenrechte oder Gleichstellung einsetzen – allerdings oftmals ohne echte, substanzielle Maßnahmen dahinter.
„Dieses Phänomen ist leider weiter verbreitet als viele annehmen. Da muss man immer ganz genau auf die Marke schauen. Oft sind es Unternehmen, die sich noch nie um Diversität geschert haben, wie etwa ein Hersteller von Luxusautos, der 2024 mit einer unglaubwürdigen Kampagne viel Häme ausgesetzt war. Das ist natürlich doppelt verheerend, weil dadurch auch das Markenvertrauen der treuen Käufer schwindet.“ Denn in der Werbung gehe es trotz allem immer auch um Glaubwürdigkeit, um Authentizität. „Natürlich müssen Unternehmen Geld verdienen, aber ich würde mir wünschen, dass man aktuelle Strömungen in der Gesellschaft nicht einfach nur für seine Zwecke nutzen möchte. Gleichzeitig weiß ich, dass wir uns da nicht allzu viel Hoffnungen machen sollten: In der Werbung geht es immer noch um sehr viel Geld.“
Fest steht also: Wir sollten uns etwas öfter bewusst machen, wie oft wir Werbung ausgesetzt sind. Und uns nicht von angeblich verlockenden Angeboten unter Druck setzen lassen. Das ist alles einfacher gesagt als getan, aber: Genau da setzt Medienkompetenz an.
Über den Autor
Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.
Björn Springorum
Freier Journalist und Schriftsteller
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