Countdown zur Bildungsreform: Wie Medienbildung zum Schulfach werden soll
Es ist Schulstart in Baden-Württemberg. Das heißt: Noch ein Jahr bis zur Bildungsreform. Besonders interessant ist da das neue Schulfach Informatik und Medienbildung, bei dem auch ein Schlaglicht auf Künstliche Intelligenz gelegt wird. Mit Staatssekretärin Sandra Boser vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport und mit Medienpädagogin Eva Weiler sprechen wir über Chancen und Herausforderungen der Bildungsreform.

07.10.2024
Was sieht die Bildungsreform vor?
Es ist ein Mammutprojekt – und ein fortlaufender Prozess: Die Landesregierung hat eine Bildungsreform mit zahlreichen Neuerungen für alle weiterführenden Schulen auf den Weg gebracht. Davon sollen vor allem Kinder mit weniger guten Startbedingungen profitieren. Geplant sind etwa Sprachtrainings vor der Einschulung sowie sogenannte Juniorklassen vor der Grundschule. Zudem wird es eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium geben, das aber keine wirkliche Rückkehr und eher ein Update ist, das den Schulen mehr Entscheidungsgewalt zugesteht.
Konkret, so heißt es, sollen in der fünften und sechsten Klasse die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache mit einer zusätzlichen Stunde gestärkt werden.
Gestärkt werden überdies MINT-Fächer, mit Informatik und Medienbildung wird es sogar ein gänzlich neues Schulfach geben, um den Herausforderungen durch KI und Digitalisierung besser entgegentreten zu können. Alle weiteren Neuerungen finden sich auf der Landesseite.
Das neue Fach Informatik und Medienbildung
Im Schuljahr 2025/26 werden Schüler*innen in Baden-Württemberg erstmals im Fach Informatik und Medienbildung unterrichtet. Für Staatssekretärin Sandra Boser ist das eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Maßnahmen in Sachen Medienbildung. „Die Anfänge reichen bis ins Jahr 2016 zurück. Und seither hat sich einiges getan: Wir haben die Leitperspektive Medienbildung auf den Weg gebracht und den Basiskurs Medienbildung in den Schulen implementiert – nur bisher nicht mit festen Stunden.“ Das kommt nicht ohne Herausforderungen: Zwar bedeutet die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium automatisch auch mehr zur Verfügung stehende Stunden; die Implementierung eines neuen Fachs an den Schulen der Sekundarstufe I steckt aber eben noch in den Kinderschuhen. „Wir werden nun prüfen, wie wir die Innovationselemente des neuen G9 – Medienbildung und Informatik, aber auch Demokratiebildung und eine Stärkung der MINT-Fächer – auf alle Schularten übertragen können.“
Für Außenstehende sind genau jene Unklarheiten ein Grund zur Besorgnis. „Allein dass man erkannt hat, dass Medienbildung etwas Essentielles ist, ist natürlich eine sehr gute und wichtige Sache“, sagt Medienpädagogin Eva Weiler vom Landesmedienzentrum. „Medienbildung gehört in die Schule, das hat man schon bei der letzten Bildungsreform erkannt. Ich kann mir nur noch nicht vorstellen, wie das im Detail umgesetzt werden soll. Gibt es verbindlichen Stoff oder muss sich jede Schule ihren eigenen Medienbildungsplan schreiben? Ich glaube, dass bei vielen Schulen noch große Fragezeichen bestehen.“
Der Countdown zur Bildungsreform
Nun muss man natürlich im Hinterkopf behalten, dass noch ein ganzes Jahr Zeit ist, bis die Pläne der Landesregierung in Kraft treten. „Noch sind nicht alle Planungen abgeschlossen und auch die Überarbeitung des Bildungsplans fängt erst jetzt an“, betont die Staatssekretärin. „Das Bestehende wird verbindlich verankert, vertieft und ausgebaut. Es soll aber alles bewusst evolutionär gestaltet werden.“ Soll heißen: Es wird zum Schulbeginn 2025 nicht sofort volle Leistung gefahren; sondern alles sukzessive ausgebaut. „Im Lehrplan werden wir wie bisher mit Medienbildung in Klasse 5 beginnen und in den höheren Klassenstufen sukzessive Informatik, und Künstliche Intelligenz dazu nehmen. Zudem wird das neue Fach perspektivisch auch in den unteren Klassenstufen nach und nach mit informationstechnischen Grundlagen gefüllt. So kann alles Schritt für Schritt wachsen und wir geben den Lehrkräften die Zeit, sich einzufinden.“
Der Lehrkräftemangel macht die ganze Sache natürlich nicht leichter. Aber: „Wir werden das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung beauftragen, die entsprechenden Fortbildungen vorzubereiten“, so Boser. Für Medienpädagogin Eva Weiler ist das zu wenig. Sie befürchtet, dass die Lehrer*innen zunehmend überfordert sein werden, wenn sie sich neben ihrem normalen Stoff auch noch auf ein ganz neues Fach vorbereiten müssen. Ihrer Meinung nach müsste man viel eher „den Lehrplan entrümpeln. Wenn immer nur etwas dazukommt, hat das ja nichts mit einer Reform zu tun.“
Eine Lösung dafür hat sie auch parat. „Wir müssen darüber nachdenken, die Schulen für externe Fachkräfte zu öffnen. Hier müsste eine Einrichtung wie das Landesmedienzentrum deutlich mehr gestärkt werden.“ Das sieht auch Sandra Boser so: „Das Kultusministerium hat die Rechtsaufsicht über das LMZ, insofern arbeiten wir schon immer intensiv zusammen. Da Medienbildung aber bisher kein eigenständiges Fach war, lagen Inhalte wie etwa der Jugendmedienschutz primär in der Zuständigkeit des LMZ. Mit der Implementierung als Fach kommt das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung hier nun etwas mehr ins Spiel. Da gilt es, in Arbeitskreisen eine gute neue Struktur zu finden. Wie überall, geht es auch hier um einen guten Kompromiss.“
Die Ziele des neuen Schulfachs
Das Fach Medienbildung und Informatik soll dazu beitragen, „die Lebenswelt der Jugendlichen noch mehr in der Schule abzubilden“, sagt Sandra Boser. „Da spielt auch das Thema ‚Digital Divide‘ eine Rolle. Diese Bildungsschere tritt jetzt schon in der digitalen Welt auf, weil Kinder und Jugendliche aus bildungsnahen Haushalten mehr mit digitalen Medien zu tun haben als diejenigen aus bildungsfernen, zumindest wenn es um den konstruktiven Umgang damit geht. Studien zeigen, dass Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten zurückhaltender darin sind, KI beim Lernen einzusetzen als Jugendliche aus bildungsnahen Haushalten. Das muss uns zu denken geben.“
Genau deswegen sei auch so wichtig, dass dieses Fach in allen Schularten integriert wird. „Oberstes Ziel ist, dass wir alle Jugendlichen zu souveränen und kritischen Nutzer*innen und Gestalter*innen machen. Und wenn wir es dann noch schaffen, mehr Mädchen und junge Frauen für Themen wie KI, Informatik oder MINT zu begeistern, dann wäre das für mich das Sahnehäubchen.“
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